Gründung der Tersteegengemeinde

Die Tersteegenkirche in Düsseldorf

Am 24. März 1957 fand die Grundsteinlegung zum Bau der Tersteegenkirche vor genau 60 Jahren statt. Auf der Suche nach Zeitzeugnissen ist mir die Festschrift zur Einweihung der Kirche am 29. Juni 1958 in die Hand gefallen. Sie ist ein Zeugnis der damaligen Zeit und lässt Stadt- und Gemeindegeschichte lebendig werden. Ich möchte Ihnen die Lektüre ans Herz legen. Ich fand sie ungemein spannend. Beim Lesen mögen Sie bitte daran denken, dass der Text 1958 entstanden ist, so hat unsere Gemeinde heute nur etwas mehr als 2000 Gemeindeglieder, und auch die leeren Kiesgruben werden Sie vergeblich suchen. Der „Alte Exerzierplatz“ (heute „Kastanie“) ist mir noch gut bekannt, wie oft bin ich dort zu einem Bier eingekehrt oder wir haben uns zum Kegeln getroffen. Die Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht erinnern, und ich würde mich freuen, wenn der Eine oder die Andere mir eine Geschichte oder Erinnerung „von damals“ zukommen ließe.

Horst Gieseler, Prädikant, Vors. des Presbyteriums

VOM WERDEN DER GEMEINDE

„Die Tersteegenkirche verdankt ihre Erbauung dem schnellen An­wachsen der evangelischen Bevölkerung in den Stadtteilen Golzheim und Stockum seit 1950. Noch vor zehn Jahren hat es wohl kaum einer für möglich gehalten, dass einmal das frühere Predigerseminar der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union an der Jung-­Stilling- und Tersteegenstraße, mit einer neuen Kirche verbunden, der Mittelpunkt einer Gemeinde von siebentausend Seelen werden würde, deren Zahl sich durch Zuzug noch ständig vermehrt. Vor fünfzig Jahren waren die jetzt weithin bebauten Gemarkungen Golzheim und Stockum unfruchtbares Heideland, bekannt unter dem Namen “Golzheimer Heide”. Leere Kiesgruben erinnern noch heute daran. Die Schnellenburg, die Stockumer Höfe mit der kleinen katho­lischen Kapelle, der Bonneshof in Golzheim, einige alte Häuser und der Nordfriedhof stammen aus der Zeit, wo Golzheim und Stockum weit vor den Toren Düsseldorfs lagen. Die Gastwirtschaft “Zum alten Exerzierplatz” in Stockum trägt noch ihren alten Namen aus der Zeit, als die Golzheimer Heide der Übungsplatz der Soldaten war. Auf dem heutigen Nordparkgelände lagen einst die Jägerschen Farbenfabriken, auf dem Gebiet der sogenannten Schlageterstadt stand die Villa Leifmann. Das Tannenwäldchen am Nordfriedhof lebt nur noch im Namen fort, ebenso das Binnenwasser, ein früherer Seitenarm des Rheines. Verschwunden ist die katholische Kapelle, die auf der Straßenkreuzung der Uerdinger- und Kaiserswerther Straße stand und die aus dem siebzehnten Jahrhundert stammte. Der alte Kalkumer Weg und zugleich Kirchsteig, der von Kalkum und Unter­rath quer über die Golzheimer Heide nach Düsseldorf führte, ver­schwindet vor unseren Augen Stück für Stück durch die fortschrei­tende Bebauung.

Es sei am Rande vermerkt, dass die Namen Golzheim und Stockum schon im zwölften Jahrhundert auftauchen. Die Schnellenburg wird 1411 erwähnt. Golzheim kam bereits 1384 zu Düsseldorf, Stockum erst 1908. Die Stockumer Höfe zählten vor hundertfünfzig Jahren 93 Einwohner, Golzheim vor hundert Jahren 321. Damals waren von den 44 307 Einwohnern Düsseldorfs 35 934 katholisch und nur 7851 evangelisch.

Was sich in kirchengemeindlicher Sicht vor fünfzig Jahren mit der Kreuzkirchengemeinde vollzog, vollzieht sich jetzt mit der werdenden Tersteegengemeinde in Golzheim und Stockum. Damals löste sich die Kreuzkirchengemeinde von der Johanneskirchengemeinde und wurde selbständig, weil das Wachstum der Stadt nach Norden diese Lösung notwendig machte. Im Laufe von fünfzig Jahren wuchs die Kreuz­kirchengemeinde auf über zweiunddreißigtausend Seelen mit fünf Pfarrbezirken. Die weite räumliche Entfernung des fünften, nörd­lichen Bezirkes von der Kreuzkirche hat in diesem Bezirk zu einem eigenständigen gemeindlichen Leben geführt. Darum beschloss das Presbyterium am 5. Dezember 1955 einstimmig, die Selbständig­machung des fünften Bezirkes bei der Kirchenleitung zu beantragen. Diese neue Gemeinde soll den Namen Tersteegen-Kirchchengemeinde  tragen.

Ihre Geschichte beginnt mit dem Jahre 1927. Damals wurde Stockum kirchlich aus der Gemeinde Kaiserswerth gelöst und der Evangelischen Gemeinde Düsseldorf und damit der Kreuzkirchen­gemeinde eingefügt. Kai­serswerth und Lohausen wurden erst 1929 als Stadt­teile Düsseldorf einge­meindet. In Stockum wurde am 29. Juni 1927 ein Frau­enverein gegründet. Acht­undvierzig Frauen waren bei dieser Feier im Saal der Gastwirtschaft ‚Zum alten Exerzierplatz’ ver­sammelt. Pastor Simon hielt dabei eine biblische Ansprache. Pfarrer Rose vom ersten Pfarrbezirk der Kreuzkirchengemein­de und seine Hilfsprediger Pastor Simon und Pastor Stefany, Stadtmissionar Gebert und die Gemeindeschwester Sigrid Arneesen betreuten den Verein, der sich später „Evangelische Frauen­hilfe Stockum” nannte. In dem erwähnten Saal fand am ersten Weih­nachttsfeiertag 1927 der erste Gottesdienst statt, den Pastor Simon hielt und an dem sechzig Personen teilnahmen.

Durch die Arbeit dieses Frauenkreises, dessen damalige Leiterin­nen, Frau Elisabeth Engels und Fräulein Hedwig Spier, noch am Leben sind [1958], erwuchs im abgelegenen Norden der Kreuzkirchen­gemeinde die Notwendigkeit einer eigenen Predigtstätte. Damit ent­stand der Sammelpunkt für die spätere selbständige Gemeinde.

Ein zweiter wichtiger Abschnitt begann, als im Mai 1930 Golzheim und Stockum der neue, vierte Pfarrbezirk der Kreuzkirchengemeinde wurden. Die Pfarrer Rose und Hafner gaben Teile ihrer umfangreich gewordenen Bezirke ab, die nun den neuen Bezirk bildeten. Er er­streckte sich von der Bahnlinie bis zum Rhein und vom Stadion und der Piwipp bis zur Heinrich-Ehrhardt- und Johannstraße, der Rolandstraße und dem Homberger Platz. Das Gebiet war so groß wie die anderen drei Pfarrbezirke zusammen und umfasste rund vier­tausend Seelen. Seit 1955 ist der vierte Bezirk fünfter geworden und trägt den Namen ” Tersteegen-Bezirk”. Um die Seelenzahl auszu­gleichen, wurde 1950 das Gebiet östlich der Ulmenstraße sowie die Rolandstraße wieder an die anderen Pfarrbezirke zurückgegeben.

Als Pfarrer des neuen Bezirkes wurde Dr. Friedrich Linz am 11. Mai 1930 eingeführt. Er kam aus der Kirchengemeinde Wermelskirchen. Als seine Mitarbeiterin kam zur gleichen Zeit die Diakonisse Lina Scherenberg aus Neviges.

Die Aufgabe der beiden Gemeindearbeiter war nicht leicht. Sie be­stand darin, die räumlich weit voneinander entfernt wohnenden Ge­meindeglieder, deren soziale Schichtung von den Reichsten bis zu den Ärmsten reichte, zu einer Gemeinde zusammenzuführen. Die Cecilienallee war damals eine der elegantesten Wohnstraßen Düssel­dorfs. Die Kasernen an der Ulmenstraße, Mannschaftsbaracken und Pferdeställe für die französische Besatzung nach dem ersten Welt­krieg erbaut, beherbergten Bewohner, von denen manche, wie man so sagt, von der Gesellschaft abgeschrieben waren; auch ein Obdach­losenasyl war dort. Dazwischen lag der Nordfriedhof und ein weit ausgedehntes Schrebergartengelände mit schwierigen, ermüdenden Wegen, wo man buchstäblich auf Menschensuche gehen musste. So ist es zum Teil noch heute [1958].

Im Jahre 1950 ließ sich Pfarrer Dr. Linz beurlauben, um als Landes­pressepfarrer das neugebildete Presseamt der Rheinischen Kirche zu übernehmen. Pastor Otto Meyer, der 1947 als Hilfsprediger in den Bezirk gekommen war, verwaltete den Bezirk als Pfarrverweser. Als Dr. Linz 1951 endgültig die Pressearbeit übernahm, wurde Pastor Meyer zu seinem Nachfolger im Bezirk gewählt und am 6. Mai 1951 in sein Amt eingeführt. Pfarrer Dr. Linz verwaltet seit seiner Pen­sionierung im Jahre 1955 einen Seelsorgebezirk im Tersteegenbezirk.

Von Anfang an bis heute ist das Werden der Gemeinde mit dem Predigerseminar der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union verbunden gewesen. Das ist der entscheidende Grund geworden, Ge­meinde und Kirche mit dem Namen Tersteegen zu benennen.

Das Predigerseminar wurde 1929/30 erbaut und am 2. Mai 1930 eingeweiht. Die beiden Straßen, die als Zugang neu angelegt werden mussten, erhielten die Namen Jung-Stilling- und Tersteegenstraße, Namen von Männern, die mit der Geschichte der Evangelischen Kirche im rheinischen Raum verbunden sind.

 

Gerhard Tersteegen , niederrheinisch-holländischer Herkunft, ursprüng­lich Gerrit van Tersteegen, d. h. zur Stiege, geboren am 25. November 1697 in Moers, gestorben am 3. April 1769 in Mülheim/Ruhr, ist vielen Menschen durch Lieder, Schriften und Seelsorge ein geistlicher Führer und Wegweiser zu Christus geworden. Tersteegen, hochbegabt, der Jüngste von acht Ge­schwistern, verlor sechsjährig seinen Vater und wurde von der Mutter nach dem Besuch der höheren Schule für den Kaufmannsberuf bestimmt, den er in Mülheim erlernte. Die Erweckungsbewegung und der Pietismus erfassten ihn. Er gab seinen Beruf auf, weil er durch das Trachten nach irdischem Gewinn nicht das Heil der Seele verlieren wollte und erlernte das Bandwirken, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und Zeit zur Beschäftigung mit göttlichen Dingen zu gewinnen. Von 1728 ab hat er einundvierzig Jahre lang fast nur der Seelsorge, der Wortverkündigung und der Schriftstellerei gelebt. Eine Fülle seelsorgerlicher Briefe ist er­halten. Sie gingen bis nach Russland, Schweden und Amerika und sollen sogar bis Neuseeland gelangt sein. Der ehemalige Bandweber wurde der größte Seelsorger seiner Zeit, und was er in der Seelsorge geleistet hat, ist mehr, als wenn er Wunder vollbracht hätte. [J. Erb, Die Wolke der Zeugen, Bd. I,  Kassel 21952, S. 358]

Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, d.h. er wollte zu den „Stillen im Lande” gehören, geboren 1740 zu Grund im Siegerland, gestorben 1817 als Hofrat in Karlsruhe, ein Freund Goethes, sagte von Tersteegen, dass kein Christ seit der Apostel Zeiten so viele Herzen dem Herrn Christus zu­geführt habe, wie dieser einfache Kaufmann. Stilling wurde berühmt durch seine Staroperationen und war religiöser Schriftsteller. Tersteegen war ein Theologe von Format. Mit dem Wort Mystiker sind Mann und Lebenswerk nicht zu erfassen. Was er gelehrt, das hat er selbst gelebt. Seine Demut und Lauterkeit und sein Leben mit Gott müssen von einer unbeschreiblichen Wirkung gewesen sein. Durch seine Lieder redet er noch, wiewohl er gestorben ist. Das Gesangbuch für Rheinland und Westfalen enthält zwanzig seiner Lieder. Leider gibt es kein Bild von Tersteegen. Man darf aber bei ihm sagen: was er in seinen Liedern sagt, ist sein Wesen und Bild.

Am 25. Mai 1930 wurde die zweite, ständige Predigtstätte der Kreuz­kirchengemeinde in dem neuen Pfarrbezirk, im zweiten Obergeschoss des Predigerseminars, dem Gymnastikraum, mit einem Gottesdienst eröffnet. Für den wachsenden Bezirk wurde 1933 das Gemeindehaus an der Uerdinger Straße 88 als eigene Predigtstätte mit dreihundertfünfzig Sitzplätzen erbaut. Der Architekt war Karl Leverentz. Die Einweihung war am 17. Dezember. Das Haus hatte sogar eine kleine Orgel, von der Firma E. F. Walker & Co. in Ludwigsburg erbaut.

Im zweiten Weltkrieg wurde das Haus am 2. November 1944 durch Fliegerbrandbomben zerstört. Auch das Predigerseminar wurde beim gleichen Angriff schwer beschädigt. Da es während des Krieges durch die Waffen-SS beschlagnahmt worden und deshalb nicht mehr zugänglich war, wurden die Gemeindeveranstaltungen zur Kreuz­kirche verlegt oder auch, bis hin zu den Gottesdiensten, in Privat­wohnungen in Golzheim und Stockum gehalten. Nach der Beendigung des Krieges aber fand die Gemeinde wieder Unterkunft in dem noch benutzbaren nördlichen Teil des Predigerseminars, der nun leer stand; der südliche Teil war unbewohnbar; der Wohnflügel des Studienleiters fast völlig zerstört. Die Gemeinde nahm die Notunter­kunft gerne hin, da das Seminar für die Gemeindearbeit viel günstiger lag als die weit entfernte Kreuzkirche. Außerdem war auch diese mit ihren Nebenräumen schwer beschädigt und zum Teil unbenutzbar geworden. Gewiss wird die Zeit von 1945 bis 1948 im Predigerseminar allen, die sie miterleben durften, unvergesslich sein. Dort sammelte die Gemeinde sich wieder nach den Stürmen und Schrecken des Krieges als eine echte Gemeinde unter dem Wort. Dort entstand auch unter den notvollen Verhältnissen der Kindergarten.

Aber 1948 wurde die Gemeinde wieder obdachlos. Am 12. Sep­tember 1948 fand der letzte Gottesdienst im Predigerseminar statt. Es war von der Kirchenleitung für fünf Jahre an die Stadt Düsseldorf als Gästehaus verpachtet worden, da fast alle Hotels in der Stadt durch den Krieg zerstört waren. Die Stadtverwaltung hatte sich dafür verpflichtet, das schwerbeschädigte Gebäude wieder instandsetzen zu lassen und Baumaterialien für den Wiederaufbau des Gemeinde­hauses an der Uerdinger Straße sowie der Büroräume im Gemeinde­haus an der Kreuzkirche beschaffen zu helfen. Auch das Gemeinde­amt der damals noch unaufgeteilten Evangelischen Gemeinde Düssel­dorf hatte im Predigerseminar Unterkunft gefunden, da die Büro­räume in der Stadt, in der Steinstraße, zerstört waren. Das Bauen war in den Nachkriegsjahren bis zur Währungsreform fast nur durch Kompensieren möglich, d. h. Materialien waren fast nur auf dem Tauschwege gegen andere Waren erhältlich, und die Handwerker verlangten statt Geld Lebensmittel oder sonstige Sachwerte.

Unter dem Namen “Hotel Golzheim” ist dann das Predigerseminar volkstümlich geworden. Die Gemeinde aber wanderte wiederum zur Kreuzkirche und war dort bis zum Wiederaufbau des Gemeindehauses an der Uerdinger Straße. Am 13. Februar 1949 wurde es durch einen feierlichen Gottes­dienst in Gebrauch genommen.

VOM WERDEN DER TERSTEEGENKIRCHE

Als das Gemeindehaus 1933 geplant und gebaut wurde, rechnete man damit, dass es der Mittelpunkt des Gemeindelebens in der ein­mal dicht bebauten “Lohe” werden würde. Die Entwicklung der Stadt im Norden ist diesen Erwartungen nicht gefolgt. Der zweite Welt­krieg, Wirtschaft und Verkehr haben die Bebauungspläne anders bestimmt. Vor allem hat der Bau der Nordbrücke von 1952 ab das Gemeindehaus als Gottesdienstraum sehr geschädigt, da das Vor­geländer, das den Verkehrslärm abhielt, der Straßenführung der Brücke restlos zum Opfer fiel. Außerdem war das Haus für die immer noch wachsende Gemeinde zu klein geworden; es war auch Lage­ mäßig nicht der Mittelpunkt der Gemeinde.

Der Plan, in der Nähe, etwas weiter nördlich von der Uerdinger Straße, in absehbarer Zeit ein zeitgemäßes Gemeindezentrum zu schaffen, war undurchführbar, da die Erschließungskosten des Ge­ländes sehr hoch gewesen wären. Außerdem befriedigte die Lage nicht. Es wurde erwogen, die Anlage auf dem gemeindeeigenen Gelände am Freiligrathplatz mit einer größeren Kirche zu bauen. Das sollte für Golzheim, Stockum, Lohausen und das Heinefeld der Mittelpunkt einer neuen größeren Kirchengemeinde werden. Aber die Pläne der benachbarten Kirchengemeinden, die räumlichen Ent­fernungen und die Tatsache, dass dort nicht das Schwergewicht der Besiedlung lag, noch in Zukunft liegen würde, sprachen dagegen. Auch am Freiligrathplatz ist die Entwicklung der Stadt bisher anders als erwartet verlaufen. Der Versuch, an Stelle des Freiligrathplatzes ein Gelände gegenüber den Steinernen Pferden des Nordparks zu gewinnen, erwies sich als undurchführbar, da eine Siedlungsgesell­schaft in den Verhandlungen bereits die Vorhand hatte.

So richtete sich zuletzt der Blick auf den Reeser Platz. In Zusam­menarbeit mit dem Stadtplanungsamt wurden zwei Plätze vorge­sehen, die für ein Gemeindezentrum günstig lagen. Von beiden Plänen ist keiner zur Durchführung gekommen. Der erste wurde verhindert durch Bauten für die englische Besatzung, der zweite, städtebaulich hervorragend, scheiterte an den hohen Erwerbskosten des Geländes. Das geschah in den Jahren 1952 bis 1955.

In dieser Lage bot der Gesamtverband der Evangelischen Kirchen­gemeinden in Düsseldorf der Kreuzkirchengemeinde das frühere Pre­digerseminar als Platz für das neue Gemeindezentrum an; auch die Zusage der Finanzierung war mit diesem Angebot verbunden. Das Seminar hatte nach dem Erlöschen des Vertrages mit der Stadt leer gestanden, war vom Gesamtverband käuflich erworben und für ein Altersheim vorgesehen worden. Das Presbyterium der Kreuzkirchengemeinde ging in seiner Sitzung am 6. Juni 1955 auf dieses Angebot ein, nachdem geklärt worden war, dass sich auf dem Gelände des Seminars eine Kirche und ein Saal in Verbindung mit dem leerstehenden Gebäude schaffen ließen. Die Voraussetzungen für den Bauentwurf schuf ein engerer Wett­bewerb unter fünf Düsseldorfer Architekten im Dezember 1955. Der Träger des ersten Preises, Architekt Neumann-Rundstedt, wurde mit der Weiterentwicklung der Pläne und mit der Ausführung beauftragt. Das Presbyterium bestellte einen Bauausschuss zur Durchführung der Aufgabe. Ihm gehören der Pfarrer und die sechs Presbyter des fünf­ten Bezirkes und der Baukirchmeister der Kreuzkirchengemeinde an. Der Bauausschuss ließ sich bei der Planung davon leiten, dass eine gute Verbindung zwischen Kirche und Gemeindesaal aufgrund der Erfahrungen im Gemeindehaus an der Uerdinger Straße wünschens­wert sei und dass die Kirche in ihrer Form und Gestalt dem Raum­empfinden des Menschen der Gegenwart entsprechen sollte, dass man also nicht zur Vergangenheit gewandt, sondern in die Zukunft schauend gestalten und bauen sollte.

Der Vergleich des ausgeführten Baues mit dem Baumodell und dem preisgekrönten Wettbewerbsentwurf zeigt etwas von der ge­stellten Aufgabe und dem Ringen um den Versuch ihrer Lösung. Auf dem sehr engen, langgestreckten Gelände galt es eine Kirche zu bauen, die auch an Festtagen genügend Raum bietet. So entstand die Kirche in ihrer eigenwilligen Form mit über vierhundert Sitzplätzen im Schiff und achtzig auf der Empore. Die Anordnung des Altares und der Kanzel sowie der Sitz- und Blickrichtung der Gemeinde folgt dieser Form, d. h. sie wird von der Langseite der Kirche bestimmt; sie hat dabei aber bewährte Vorbilder, z. B. die Neanderkirche in Düsseldorf, den Bremer Dom u. a.

Die Kirche , ein Stahlbeton-Skelettbau, hat eine Außenhöhe von 20,50 m, um in dem engbebauten Gelände zur Geltung zu kommen. In der Grundfläche misst sie 31,50 x 20 m. Ein 12,50 x 9,50 m großer Verbindungsraum zwischen Kirche und Gemeindesaal dient als Ein­gangshalle und kann bequem zur Erweiterung der Kirche oder des Gemeindesaales sowie als kleiner Saal allein benutzt werden. Diese Halle bietet Raum für über einhundert Personen. Außerdem kann der Gemeindesaal zu seinem größten Teil ebenfalls an den Kirchen­raum angeschlossen werden, so dass dadurch Platz für rund ein­tausend Personen bei Festgottesdiensten geschaffen werden kann.

Der unsymmetrische Grundriss der Kirche, der aber in der Quer­achse symmetrisch ist, die beiden als Fenster gestalteten Giebel in Sichtbeton, die mit Maclit, einem Kunststein aus Natursteinmasse, verkleideten Längswände und das steile Schieferdach geben der Kirche ihre besondere Außenform und Gestalt.

Über eine breite Freitreppe betritt der Besucher eine Vorhalle. Dieser Vorraum wurde geschaffen, um die Unruhe der Außenwelt von der Stätte des Gottesdienstes fernzuhalten und den Besucher zu mahnen: “Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst, und komme, dass du hörest”, Prediger 4,11.

Der Innenraum der Kirche ist bewusst schlicht und warm gehalten; er soll die Gemeinde zum Wohnen einladen. Er wird geprägt durch den mit Aachener Blau, einem deutschen Marmor, ausgelegten Fuß­boden; der Altarraumerhöhung in Lunel rubané, einem belgischen Marmor; durch die mit holländischen, handgestrichenen Klinkern verkleideten Längswände; der Holzdecke aus Lärchenholz, die aus akustischen und architektonischen Gründen gefeldert ist und der konstruktiveigenwilligen, freitragenden Empore. Diese Konstruktion war so nur möglich, weil das schwere Dach des Zwischenbaues als Gegengewicht ausgenützt werden konnte. Die beiden großen Giebel­fenster mit verschiedenfarbigem Neuantikglas geben dem Raum das getönte und gedämpfte Licht und damit seine Eigenart. Die Türen sind aus Cambala, einer Teakholzart, gearbeitet; Altar, Taufstein und Kanzel sind aus grün-schwarzem Serpentin, einem norditalieni­schen Marmor; das Gestühl ist aus Paranapine, einer brasilianischen Kiefer. Der Schalldeckel über der Kanzel ist nach1 den Berechnungen des Fachmannes so geformt und gesetzt, um die Stimme des Predigers in dem hohen, breitgestreckten Raum gut und deutlich hörbar zu machen. Die Lampen sind dunkel gehalten, um die lichte Schönheit des Raumes so wenig wie möglich zu stören.

Auf weiteren, besonderen Schmuck-. des Raumes ist verzichtet wor­den. Das große dunkle Kreuz aus Cambalaholz an der Altarwand soll den Raum beherrschen und den Blick auf den Altarraum lenken. Der Spruch aus Jesaia 40,8: “Das Wort unseres Gottes bleibt ewig­lich“ auf dem Antependium der Kanzel stand als Inschrift auf der Altarwand des zerstörten und wieder aufgebauten Gemeindehauses an der Uerdinger Straße. Er wurde übernommen, weil die Gemeinde unter diesem Wort bisher zusammengekommen ist und ihre Gottes­dienste gehalten hat. Nun soll es sie weiter begleiten und sie weiter daran mahnen, dass das Wort Gottes das Bleibende in der Vergänglichkeit dieser Welt ist.

Das Kleinod der Kirche soll einmal die Orgel werden, die Orgelbau­meister Karl Schuke aus Berlin erbauen wird. Voll ausgebaut wird sie einunddreißig Register, verteilt auf drei Manuale und Pedal besitzen. Aus akustischen und architektonischen Gründen wird sie mit einem Rück-positiv gestaltet. Im Frühsommer 1959 soll sie eingebaut werden. [Das Jubiläum der Orgel wurde also im Jahr 2009 gefeiert.]

ine Treppe führt im Hintergrund der Kirche zu einem 17 x 6 m großen Raum unter der Kirche, der als Sakristei, Presbyterraum und als Krypta (Kapelle) für kleinere Gottesdienste dienen soll. Die Enge des Baugeländes führte zu dieser glücklichen Lösung. Das Kreuzi­gungsbild, von Maler Anton Woelki in Düsseldorf gemalt, schmückt den Raum und ist eine Stiftung von Presbyter Erich Wollert.

Geplant ist für später die Ausführung eines Reliefs an der Längs­wand des Eingangsflures. Es soll das Thema des Liedes von Ter­steegen darstellen:

Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Abend kommt herbei;
es ist gefährlich stehen in dieser Wüstenei.
Kommt, stärket euren Mut,
zur Ewigkeit zu wandern
von einer Kraft zur andern;
es ist das Ende gut.

Über den Turm, seine Form und seinen Bau, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er soll von der Kirche getrennt stehen und drei oder vier Glocken tragen. [Dieser Glockenturm ist bis heute nicht erbaut worden; man entschied vor vielen Jahren, stattdessen den Kindergarten zu bauen. Für beides zusammen fehlte das Geld. Manch einer in der Tersteegengemeinde träumt aber heute immer noch davon, eines Tages diesen Glockenturm verwirklichen zu können.]

Unter dem Verbindungsbau sind die Toiletten und die Heizungs­anlage eingebaut. Die Kirche wird im Winter durch Warmluft beheizt und kann durch die gleiche Anlage belüftet und entlüftet werden. Das frühere Predigerseminar, das nun Tersteegenhaus heißt, ist in seinem Nordteil gründlich umgebaut und von den Kriegsschäden be­freit worden. Es enthält die Dienstwohnungen für den Hausmeister, den Küster, für einen Gemeindehelfer und zwei kleine Wohnungen für Gemeindeschwestern; ferner genügend Räume für eine groß­zügige Jugendarbeit sowie für die Gemeindearbeit. Der südliche Teil des alten Gebäudes wurde abgerissen, um den Gemeindesaal schaffen zu können, der vierhundert Sitzplätze enthalten wird. Auf der Nordwestecke des Grundstückes soll später ein Kindergarten erbaut werden. Der erste Bauabschnitt, Kirche und Verbindungsbau, wurde im Januar 1951 begonnen und im Juni 1958 vollendet. [Mittlerweile sind Tersteegensaal und das alte Predigerseminar/Tersteegenhaus zurückgebaut worden. Die Kindertagesstätte wurde zur Hälfte in das alte Gemäuer integriert, ferner wurden Wohnungen geschaffen, der ehemalige Tersteegensaal wurde zu Gemeinderäumlichkeiten umgebaut; insgesamt reduzierte man die Gemeindenutzflächen um ein Drittel, entsprechend des Zurückgangs der Gemeindeglieder von ursprünglich über 6000 auf jetzt etwas über 2000.]

Grundsteinlegung

Am Sonntag Oculi, 24. März 1957, war die Grundsteinlegung der Kirche. Nach dem Gottesdienst im Gemeindehaus ging der größte Teil der Gottesdienstbesucher zur Baustelle, wo dann über vierhun­dert Teilnehmer, jung und alt, zur Feier versammelt waren. Die Grundsteinlegung vollzog der Pfarrer der Gemeinde. Als Gäste waren zugegen und sprachen Grußworte: der Superintendent, der Vertreter des Gesamtverbandes, des Oberbürgermeisters, der evan­gelischen und katholischen Nachbargemeinden, der Schulen und andere.

Das Richtfest wurde am 30. Juli 1957 gefeiert. Etwa hundert Teil­nehmer, Gäste, Handwerker, Vertreter der Baufirmen und der Presse waren beim fröhlichen Richtschmaus im früheren Studien- und Biblio­thekssaal des Predigerseminars versammelt.

Nun geht das Werk mit dem dritten Bauabschnitt, dem Gemeinde­saal, im wesentlichen seiner Vollendung entgegen. Dankbar sei ge­sagt, dass Gott der Herr bis heute alle, die daran arbeiteten, gnädig vor Unfall behütet hat.

Herzlicher Dank gebührt dem Gesamtverband der Evangelischen Kirchengemeinden für die Beschaffung der geldlichen Mittel; ferner den Mitgliedern des Bauausschusses, die sich ehrenamtlich in mehr als vierzig Sitzungen um das Gelingen der Aufgabe gemüht und gesorgt haben, und endlich allen, die den Bau geplant und daran gearbeitet haben; in Sonderheit den Firmen, Betrieben und Handwerkern, die geholfen haben, dass die vorliegende Schrift erscheinen konnte. Dank sei auch den Grenznachbarn ausgesprochen, der Gemein­nützigen Postbaugesellschaft und der Stadt Düsseldorf, die die Ver­größerung des engen Geländes durch ihr Entgegenkommen ermög­lichten.

Die neue Kirche wird den Namen Tersteegens tragen, obwohl Ger­hard Tersteegen kein Kirchenmann gewesen ist. Er stand der Landes­kirche kritisch gegenüber; seine Lehre ist aber biblische Heilslehre. Mehr als erklärende und begründende Worte macht folgende Begebenheit deutlich; sie ist mehr als eine schöne Anekdote und sollte jeden, der der Kirche gleichgültig oder mit billiger Kritik gegenübersteht, nachdenklich machen:

“Als Tersteegen eines Abends mit Freunden im Kahn über die Ruhr setzte, sah er Wasser in das undichte Boot eindringen und riet den anderen, ins Wasser zu springen; sie aber sagten: ,Wir sitzen ja noch im Trocknen, und das andere Ufer ist nahe.’  Da meinte er: ,So ist meine Stellung zur Kirche; sie hat mehr als ein Leck, aber wir sitzen noch im Trocknen und das andere Ufer ist nah.“ [W. Lueken, Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch, Band II/1, Seite 256, Göttingen 1957]

Tersteegen wäre als katholischer Christ längst heilig gesprochen worden. Die Evangelische Kirche verehrt einen Menschen nicht in dieser Weise, aber sie gedenkt an ihre Lehrer, die ihr das Wort Gottes gesagt haben, sie schaut ihr Ende an und folgt ihrem Glauben nach. Tersteegen gehört zu den Lehrern der Kirche, deren Bedeutung die Schranken einer Konfession überragt und durchbricht. Mag man sich an seinen Eigenheiten stoßen oder ärgern, mögen viele seiner Worte verklungen und vergessen sein, das Entscheidende aber, was zum Wesen und Weg der Gemeinde Jesu gehört, hat er klar und wegweisend gelehrt und gelebt; seine Lieder bezeugen es lebendig bis heute: “Wir sind Pilger zur Ewigkeit und wandeln in der Gegenwart Gottes”. Daran soll der Name der Kirche immer er­innern. Tersteegen soll also dadurch kein Denkmal gesetzt werden. Das hieße den demütigen Mann verhöhnen, der zeitlebens die Men­schen aufforderte, Gott zu suchen und den Tersteegen da liegen zu lassen, wo er liege. “Ich wünschte von Herzen“, so sagte er einmal, “dass der Name Gerhard Tersteegen von allen Menschen vergessen und hingegen der Name Jesus in aller Menschen Herzen tief ein­geprägt würde.“

Alles was wir planen und erbauen durften, hat nur ein Ziel: dem Geschlecht, das heute lebt und das nach uns kommen wird, eine Stätte zu schaffen, an der es zur Begegnung mit dem lebendigen Gott und zum Dienst für ihn gerufen wird. In diesem Dienst soll es wieder den Weg zueinander finden zu froher Gemeinschaft, zum willigen Dienst am Nächsten und zu einem klaren Zeugnis und Bekenntnis des Evangeliums in der Welt. Bei der gesamten Anlage ließ sich der Bauausschuss von dem Ziel leiten, ein Gemeinde­zentrum zu erbauen, das dem heute einsam und wurzellos und im tiefsten heimatlos gewordenen Menschen der Gegenwart, was vom Großstadtmenschen im besonderen Maße gilt, nicht nur am Sonntag, sondern auch am Alltag in jeder Weise zur Heimat werden kann. Dass dieses Wirklichkeit werde, liegt als große Zukunftsauf­gabe vor der jungen Gemeinde.

Sie schaut mit tiefem Dank gegen Gott zurück auf die dreißig Jahre ihrer Wanderschaft. Gott der Herr hat ihr Raum gemacht und sie wachsen lassen im Lande. Nun darf sie die Pflöcke ihres Zeltes weiter stecken und verlässt darum die vertraute und liebe Stätte an der Uerdinger Straße. Dieses Haus hat seinen Zweck erfüllt, auch wenn es weiterhin noch von der Gemeinde gebraucht wird. Es wurde der Sammelplatz einer weit zerstreuten Gemeinde. Hier erwuchs der große Mitarbeiterkreis von Männern und Frauen, die ihre Zeit und Kraft willig und freudig in den Dienst der Gemeinde gestellt haben und stellen. In diesem Haus sammelten sich zur Zeit des Kirchen­kampfes regelmäßig führende Männer der bekennenden Kirche, der Bruderrat und die Vertrauensmänner, zu wichtigen Beratungen. Mit Recht darf die junge Gemeinde heute bekennen, wenn sie sich an­schickt, an der neuen Stätte zu wohnen: „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken: deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott”, Psalm 84,4.

Es ist, als sei Luthers tiefes Wort an ihr wahr geworden: „ … und wird nicht geschehen, was wir wollen, es wird geschehen was besser ist.“ Die Gemeinde ist zur Jung-Stilling- und Tersteegenstraße geführt worden! Gedanken und Pläne haben versucht, der Kirche einen repräsentativen Platz im Stadtbild zu geben. Das ist für eine Kirche und Gemeinde von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die Kirche als Haus und Raum ist einer der stillen, großen Erzieher! Nun aber steht die Kirche und wohnt die Gemeinde an einem etwas verborgenen Platz, der jedoch den Vorzug der Stille hat. Zu Tersteegen und Jung­-Stilling passen auch weder Rampenlicht noch Lärm.

Mögen darum die beiden Straßen mit den Namen der “Stillen im Lande” viele in das Haus des Herrn und damit in die Stille vor Gott führen. Er kann und will durch solche Menschen Großes tun. Möge allen, die in diesem Hause ein- und ausgehen werden, darin immer die Bitte in Herz und Leben geprägt werden, die Tersteegen in die Worte gefasst hat:

“ein Tag der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit.
Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.“

(Text von Horst Gieseler)

Düsseldorfer Evangelische Kirchengeschichte

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